Vergebung

Vergebung

 

Oh nein, jetzt wird es religiös.

Stopp, ist vergeben etwas unbedingt Religiöses? Warten wir mal ab was noch so geschrieben wird. Ja, es ist auch nicht einfach zu erklären. Es ist aber ein ganz wichtiger Prozess dorthin zu gelangen, wo wir mit einer Heilung beginnen können.


Viele Menschen habe ich im Verlauf meines Lebens gesprochen. Viele Vergangenheiten erzählt bekommen, die mich heute noch nachdenklich stimmen. Ich hörte davon wie noch Kinder ohne Eltern allein aufwuchsen. Sich nicht mehr getraut haben aus dem Haus zu gehen, da draußen ein anderes Leben ablief. Zu groß waren die Ängste sich den kommenden Situationen zu stellen. Da gab es das Mädchen, das mit 11 Jahren Ihren ersten Suchtmittelkonsum erlebte und dabeiblieb. Nicht weil es unbedingt schmeckte. Ja es war vielleicht auch zu dieser Zeit, in diesem Moment cool das zu tun. Jedoch wenn es nur das wäre, dann kann man doch problemlos aufhören, wenn sich Situationen ändern. Nein, es tat auch gut. Das Suchtmittel war auch das lindernde Pflaster, genau auf den Punkt gebracht.


Jeder von uns hat seine eigene Hölle erlebt. Oft, wenn ich meine Geschichte erzählte, sagten mir viele: „oh, du hattest es schwerer als ich.“ Ist das so? Nein, und hier liegt eine große Gefahr sich wieder zurückzuziehen. Jeder einzelne hat seine eigene Hölle, die ihn Dinge abverlangen, die grausam und quälend sind. Stellen wir uns da zwei junge Männer vor, die um eine Frau werben. Sie unterhalten sich und der eine sagt: „Du, ich liebe diese Frau zu 67%, ich möchte Dich bitten, dass ich den Vorzug erhalte.“ Der andere wird jetzt wohl kaum sagen: “Ok du hast gewonnen, ich liebe Sie 0,3% weniger. – „Ich werde mich von nun an zurückhalten“. Das Beispiel würde bedeuten, das Gefühle messbar wären und das sind Gefühle nie. So kann niemand bewerten, wessen leben nun mehr Hölle war als die andere.


Nun bin ich einmal der Böse. Ich stehle in einem Laden ein Kaugummi und werde erwischt. Die Polizei nimmt meine Daten auf, um eine Anzeige zu erstellen. Der Fall ist nun aktenkundig und wird dem Staatsanwalt vorgelegt. Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, dann werde ich nach dem Strafgesetzbuch mit einem Strafmaß bedacht. Fall erledigt, und alles gut?

Im Grunde schon, denn ich habe dafür gebüßt. Doch was ist das, ich finde keine Ruhe in mir. Vom rationalen her ist es doch erledigt, doch emotional bin ich unglücklich. Weshalb? War es deshalb, weil der Staatsanwalt an diesem Tag der Entscheidung eine blaue Krawatte trug? War es weil es eine Polizistin war, die meine Aussage festgehalten hatte? Vielleicht weil ich im Polizeiauto hinten links anstatt rechts gesessen habe? Nein, es ist keine rationale Erklärung, die es mir anzeigen könnte, weshalb ich so ein schlechtes Gefühl habe. Es ist die Seele, die da gerade krampft. 

Aber wie kann ich das nun ändern? Wird es helfen, wenn ich nun ein Päckchen Kaugummis kaufe und diese dann 10 Kindern schenke? Auch nicht, es bleibt ein Unbehagen, egal was ich tue. Also sitzt es doch woanders und ja richtig, es sitzt in mir und nichts und niemand von außerhalb kann hier das Gefühl verändern. Das kann einzig und allein ich.


Meine Partnerin hat mich verlassen, es schmerzt ohne Ende. Ich kann nicht mehr ohne Sie. Was machte ich falsch, weshalb verzeiht Sie mir nicht? Warum ist es zu Ende? Diese Fragen kennt jeder, der einmal vor einer gescheiterten Beziehung stand. Nicht von außerhalb kann es trösten. Mit der Zeit, die bekanntlich Wunden heilt, heile ich meinen Schmerz selbst. Irgendwann denke ich gar nicht mehr so oft darüber nach. Dann kommt die Zeit, wo auch andere Frauen wieder interessant werden. Der Faktor Zeit ist hier eine wichtige Komponente.


Ich gebe mir die Zeit, die meine Seele verlangt, um zu heilen. Niemand kann diese Zeit bestimmen, es liegt nicht in Deiner Hand. Oder hast du Dir jemals eine begrenzte Zeit der Trauer gegeben um dann pünktlich auf die Minute wieder lächelnd aufzustehen? Erdrücke Dich nicht damit, es ist nicht rational was in Deiner Seele abgeht. 


Die Lösung ist aber genauso schwer. Finde ein Zugang zu Deiner Seele und rede mit Dir. 


Wie jetzt? 


Genau, wenn du bereits einen Zugang zu Dir hättest, wäre die Frage „wie jetzt“ niemals aufgekommen. Suche Dich, denn nur da kannst du alles heilen was schmerzt.


Aber wie soll ich mich finden? 


Du findest Dich leichter, als du ahnst, denn du stehst gerade neben Dir. Ein zunächst einmal lustiger Satz. Lest Ihn bitte so oft, bis Ihr nicht mehr lachen müsst und kurz bevor er tiefe Emotionen trifft, lernt genau an dieser Stelle. 

Fange an Dich zu mögen.

In einer Therapie hatte ich einst die Aufgabe meiner entfernten Vergangenheit einen Brief zu schreiben. Ich sollte ein Brief an den kleinen Reinhard schreiben. Freunde Ihr könnt mir glauben das ich erst einmal begreifen musste, was da gerade verlangt wurde. Direkte Frage von mir:“ Wie soll ich mich denn nennen und wen schreibe ich an?“ Zur Antwort bekam ich ein Lächeln und ein: „das fällt Ihnen dann schon ein.“ Es war der bisher härteste Job, den ich zu erledigen hatte. Wen schreibe ich, was schreibe ich und wie beende ich den Brief? Ein ganzer Schreibblock ging Blatt für Blatt in den Papierkorb. Nach einer ganzen Woche hatte ich nun eine Idee. 

Ich schrieb Susanne an.

 Ja Freunde, in mir gab es eine Susanne. Das Mädchen, dass sich meine Mutter so sehr wünschte und niemals bekam. Drei Wochen später war der erste Brief fertig. Ich brauchte diesen Brief nicht vorlesen. Meine damalige Therapeutin hat zwar eine Kopie bekommen, dass aber nur für die Akten. Niemand fragte nach diesen Brief, doch tief in mir geschah etwas. Ich hatte dann selbst die Idee, dass ich das ganze nicht so stehenlassen konnte. Ich nahm wieder ein Stift und schrieb jetzt einen Brief an den „kleinen Reinhard“. Boah, noch heute bekomme ich Entenpelle oder Gänsehaut, wenn ich daran denke. Fazit, beide sprachen sich aus und plötzlich war ein Gefühl der Kraft, der Ruhe und des Friedens in mir. Es begann damit nicht das Wunder der Heilung, denn das war 2010. Doch es war ein Anfang. Es gab sogar noch einen dritten Brief, den Susanne und der kleine Reinhard dem großen Reinhard schrieb. In all diesen Briefen schrieben die Persönlichkeiten darüber, dass niemand dem anderen einen Vorwurf machten und viel mehr Ihre Kräfte vereinigten. 

Wow, ich war in mir nicht mehr allein. 

Was für ein Sieg, was für eine Chance, was für ein Himmel. So glückselig wie in dieser Zeit war ich selten. 

Einige die meine Zeilen lesen werden sagen, der Kerl hat doch Lücken in seiner Grundstückbegrenzung. (Früher auch genannt, nicht mehr alle Latten am Zaun). Ja, könnte man sagen, aber „es ist mir egal“. Mir ist Wurscht was andere darüber sagen, denn ich fühle doch allein, ob das geschriebene mit guttut. Ja es tut gut. Hätte ich vorher so gedacht? Nein, ich hätte mit allen Mitteln verhindert, dass Fremde über mich irgendetwas denken könnten, ob nun gut oder schlecht. Ich hätte mich weiterhin versteckt. Susanne, kleiner Reinhard und ich sind nun drei sehr gute Freunde und mit vereinter Kraft kann ich das schreiben.

Aber nur dort ist Heilung für Euch. Alles was Ihr in der Vergangenheit vermisst ist einzig und allein in Euch. Ihr müsst lediglich graben. Solltet Ihr auf dem Weg zu Euch irgendjemand finden, werdet Freunde denn Ihr braucht Euch. Bedeutet aber auch, dass ich der Persönlichkeit vergeben muss, um daraus Freundschaft entstehen zu lassen.

Habe Mut, stelle Dich Dir und werde Freund mit Dir. Du kannst es gleichfalls schaffen. Mit dieser dann neuen Kraft wirst du ein anderer Mensch werden. Ein Mensch, der Dir morgens dann auch im Spiegelbild gefällt.

(Reinhard Petz 2021)